Gottfried Honegger
Pionier der Computerzeichnung


Gottfried Honegger (1917–2016) gilt als einer der prominentesten Vertreter der Konkreten Kunst in der Schweiz. Ausgehend von seiner Tätigkeit als Werbegrafiker entwickelte er im Laufe mehrerer Jahrzehnte eine eigenständige Ausdrucksweise in Zeichnungen, Gemälden und Skulpturen, die wesentlich auf der Rekombination geometrischer Formen beruht.

Im Gegensatz zu anderen Vertretern der Konkreten Kunst wandte sich Honegger von der Vorstellung ab, die gesamte Komposition kontrollieren zu müssen. Er setzte bewusst auf den Zufall als Mitschöpfer seiner Werke und entwickelte eine ganz eigene Methode: „Vorgegebene Elemente und zufälliges Eintreffen“. Dabei würfelte er Farben, Muster, Formen aus und trug diese in ein quadratisches Raster ein. Auf diese Weise entstand nach und nach ein zufallsgeneriertes Bild. Im Jahr 1969 kam Gottfried Honegger in seinem Wohnort Gockhausen (bei Zürich) ins Gespräch mit Peter J. Huber, damals Professor für mathematische Statistik an der ETH Zürich. Huber erzählte ihm von den Möglichkeiten der Grosscomputer an der Eidgenössischen Technischen Hochschule und schlug ihm vor, das manuelle Würfeln in ein automatisiertes Programm zu übersetzen. Er vermittelte den technisch interessierten Künstler an seinen damaligen Doktoranden Beat Kleiner, der am Grossrechner CDC 1604-A ein statistisches Forschungsprojekt durchführte. Auf Grundlage von Honeggers Zufallsmethode programmierte Kleiner in der Sprache FORTRAN eine Anwendung, die ein vorgegebenes Raster mit zufällig ausgewählten geometrischen Formen füllte. Diese wurden von einem Stiftplotter des Herstellers Calcomp zu Papier gebracht. Der Einsatz des Computers anstelle des Würfelbechers liess mühelos Hunderte solcher Zeichnungen entstehen. 1970 bis 1972 entstanden dadurch die ersten computergenerierten Zeichnungen.

Die entstandenen Zeichnungen sind allesamt Originale, die auf dem Zufallsprinzip basieren. Die Errechnung erfolgte auf dem CDC 1604-A-Computer der ETH Zürich. Das Auswürfeln wurde mit Computer-generierten (Pseudo-)Zufallszahlen simuliert. Das FORTRAM-Programm erstellte für jedes Bild zunächst eine Tabelle der zu zeichnenden (geometrischen) Bildelemente. In einem zweiten Schritt wurde diese Tabelle Quadrat für Quadrat in die Zeichnung umgesetzt. Die Rechenzeit pro Bild betrug einige Sekunden, das Zeichnen (mit einem CALCOMP Plotter 565) brauchte mehr als eine Minute. Erst nach 1.400.000.000.000.000.000 Bildern sind Wiederholungen zu erwarten. Honegger war in diesem Sinn zusammen mit Künstlern/innen wie Bela Juresz, Georg Nees, Vera Molnar oder Laurence Gartel ein Vorläufer von durch künstliche Intelligenz geschaffener Kunst, ein Vordenker für die heute Software-, NFT-, Krypto- oder Digital-Kunst genannte Richtung.

(Text: Philippe Rey, 2022)